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Das kleine 1 x 1 des Dehnens

Ungefähre Lesedauer: 8 Minuten

by Florian M. Reinbold
Das Ziel des Dehnens der Skelettmuskulatur (z.B. Oberschenkelvorderseite) verfolgt die Absicht, den Bewegungsumfang der Gelenke zu vergrößern oder zu erhalten. Eine Dehnung wird erzeugt, indem der Muskel in die entgegengesetzte Kraft-Wirkungsrichtung gezogen wird. Hierbei entfernt man den Muskelursprung und dessen Sehnenansatzpunkt voreinander. Gelenke können sich bekanntlich in unterschiedliche Richtungen bewegen. Für die Bewegungsausführung sind unsere Muskeln in Gruppenpaaren angelegt, bei denen es immer eine aktive (Agonist, Spieler) und passive Zuständigkeit (Antagonist, Gegenspieler) während der eigentlichen Bewegungsausführung gibt.

Abgesehen von Verletzungen ist beim gesunden Muskelzustand eine große Spannung die Ursache für eine eingeschränkte Bewegungsausführung – der sogenannte erhöhte Muskeltonus – und das Zusammenspiel des Muskelgruppen-Paars ist behindert (umgangssprachlich:  „verspannt sein“).

Im Alltag werden wir uns der Einschränkung schnell bewusst, und zwar immer dann, wenn eine große Bewegungsamplitude benötigt wird und wir unsere Muskulatur maximal weit dehnen: Schuhe anziehen, etwas oben aus dem Regal holen, der Schulterblick beim Autofahren oder ein Juckreiz zwischen den Schulterblättern am Rücken *kann mich mal bitte kurz jemand kratzen? – herrlich. Danke!*

Die Methoden haben sich über Jahre weiterentwickelt

Seit Mitte der 1980er Jahre steht das Dehnen als fester Bestandteil einer gesunden Körperfunktion vermehrt im Fokus der Wissenschaft. Seither haben sich drei Hauptmethoden etabliert:
  1. Statisches Dehnen (SD):
  2. Der Muskelursprung und -ansatz wird gleichmäßig ohne zeitliche Unterbrechung auseinander bewegt. Die so entstandene Spannung wird aufrechterhalten.

    BEISPIEL Dehnen der Oberschenkelvorderseite: Der Fuß wird mit Hilfe der Hand an das Gesäß gezogen.
  3. Dynamisches Dehnen (DD):
  4. Der Muskelursprung und -ansatz wird durch ein Wechselspiel von Anspannung und Entspannung auseinander bewegt (wechselseitige Aktivierung des Muskelgruppen-Paares). Die Ausführung erfolgt mehrmalig hintereinander.

    BEISPIEL Dehnen der Oberschenkelvorderseite: Der Fuß wird durch eine schnelle Aktivierung der Oberschenkelrückseite an das Gesäß gezogen. Danach erfolgt ohne Zwischenstopp die Bewegung des Fußes in die Anfangsposition (Bein strecken), in dem die Oberschenkelvorderseite aktiviert wird.
  5. Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF):
    Im Vergleich zu den anderen häufiger bekannten Hauptmethoden wird beim PNF das Muskel-Gruppenpaar in einer Kombination beansprucht.
    1. Agonist-danachErholung (A-E-Methode)
    2. Der Muskelursprung und -ansatz wird zunächst aktiv, d.h ohne äußere Krafteinwirkung, über die eigene Bewegungsausführung maximal weit auseinander bewegt und die Position gehalten. Darauf erfolgt, durch einen Übungspartner oder ein Übungsgerät (z.B. Seil), das Aufrechterhalten der Dehnung (keine zusätzliche Kraft in die Bewegungsrichtung!). Im Anschluss erfolgt eine komplette Entspannung zurück zum Anfang der Bewegungsausführung.

      BEISPIEL Dehnen der Oberschenkelvorderseite: Auf dem Bauch liegend wird der Fuß zum Gesäß bewegt (Bein beugen). Am Endpunkt der Bewegung wird die Dehnung durch einen Übungspartner oder ein Übungsgerät (z.B. Seil) aufrechterhalten und im Anschluss daran das Bein eigenständig auf den Boden zurückgeführt und abgelegt (Bein strecken).
    3. Antagonist-undAnspannen (Tripel-A-Methode)­­­
    4. Der Muskelursprung und -ansatz wird zunächst aktiv, d.h ohne äußere Krafteinwirkung, über die eigene Bewegungsausführung maximal weit auseinander bewegt. Darauf erfolgt, durch einen Übungspartner oder ein Übungsgerät (z.B. Seil), eine zusätzliche äußere Kraft in die Bewegungsrichtung, welche für eine weitere Dehnung sorgt; gleichzeitig erfolgt nun eine zusätzliche Anspannung des Gegenspieler-Muskels.

      BEISPIEL Dehnen der Oberschenkelvorderseite: Auf dem Bauch liegend wird der Fuß zum Gesäß bewegt (Bein beugen). Am Endpunkt der Bewegung wird die so entstandene Dehnung direkt durch den Zug/Druck eines Übungspartners oder Übungsgeräte (z.B. Seil) übernommen, erweitert und gleichzeitig, durch eine bewusste Aktivierung der Oberschenkelrückseite versucht, das Bein zu strecken.
    5. Kombination (K-Methode)
    6. Der Muskelursprung und -ansatz wird zunächst aktiv, d.h ohne äußere Krafteinwirkung, über die eigene Bewegungsausführung maximal weit auseinander bewegt und die Position gehalten. Darauf erfolgt, durch einen Übungspartner oder ein Übungsgerät (z.B. Seil), das Aufrechterhalten der Dehnung (keine zusätzliche Kraft in die Bewegungsrichtung!; soweit gleich wie die A-E-Methode), jedoch erfolgt nun eine zusätzliche Anspannung des Gegenspieler-Muskels (entsprechend der letzten Phase der Tripel-A-Methode!).

      BEISPIEL Dehnen der Oberschenkelvorderseite: Auf dem Bauch liegend wird der Fuß zum Gesäß bewegt (Bein beugen). Am Endpunkt der Bewegung wird die Dehnung durch einen Übungspartner oder ein Übungsgerät (z.B. Seil) aufrechterhalten. Danach wird gleichzeitig durch eine bewusste Aktivierung der Oberschenkelrückseite versucht, das Bein zu strecken. Nach diesem Wechsel erfolgt die erneute Dehnung durch den Übungspartner/Übungsgerät.

Wann sollte man sich dehnen?

Dehnübungen sollten als eine eigenständige Einheit verstanden werden. Vor dem Training zeigen sich bezogen auf die physische Leistungsfähigkeit zu vernachlässigende Vorteile, sogar teilweise einschränkende Effekte. Sollte man sich dennoch für ein Dehnen vor der eigentlichen Anstrengung entscheiden, bspw. um ein besseres Körpergefühl zu erhalten, sollte man sich auf das DD fokussieren. Im Anschluss empfiehlt es sich, noch einige dynamische Kraftübungen durchzuführen.

Wie oft sollte man sich dehnen?

Die Frage ist schnell und einfach zu beantworten: je häufiger, desto besser. Dabei zeigt sich, dass schon fünf Minuten täglich einen positiven Effekt auf deine Körperbeweglichkeit haben können.

Wie lange sollte man sich dehnen?

Mit Blick auf den verursachenden Stress auf die Nerven(-bahnen), sollte beim SS und DD eine Dehnungsphase von 30 Sekunden als ideale Zeitdauer angepeilt werden. Innerhalb der PNF-Methode ist die Dehnungsphase mit sechs Sekunden deutlich kürzer. Eine einzelne Ausführung genügt, jedoch kann eine weitere Ausführung zu einer weiteren leichten Zunahme des Bewegungsumfangs führen.

Eine Schaumstoffrolle als Alternative?

Die Schaumstoffrolle (engl. Foam Roll) ist ein Übungsgerät, mit welchem man eine Selbstmassage der Skelettmuskulatur praktiziert. Die Anwendung ist einfach und an jedem Ort durchführbar: mit dem eigenen Körpergewicht über die entsprechende Skelettmuskulatur rollen. Der Druckreiz sorgt aufgrund der Muskelbeschaffenheit für eine Abnahme des Muskeltonus und somit zu einem größeren Bewegungsumfang des entsprechenden Gelenks. Es zeigen sich positive Effekte beim Nutzen der Schaumstoffrolle, welche jedoch im Vergleich zum Dehnen selbst geringer sind. Sollte man sich für die Ergänzung mit einer Schaumstoffrolle entscheiden, werden die Synergien aus Dehnen und Selbstmassage durch eine zusätzliche Vibrationsfunktion der Schaumstoffrolle nochmals erhöht.

Die kleine Tagesroutine: Täglich, direkt nach dem Aufwachen (also noch im Bett) die fünf typischen Schwachstellen behandeln: Schultergürtel, Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule, Hüftbeuger und die hintere Oberschenkelmuskulatur. Zeitaufwand: max. 5 Minuten

Die große Wochenroutine: 2 x wöchentlich den gesamten Körper behandeln. Angefangen von den Füßen über den Rumpf zur Brust und hin zum Nacken. Zeitaufwand für 15 – 20 Muskelpartien: ca. 45 Minuten

Die Aufwärmroutine: Bei jedem Training unter Verwendung einer Schaumstoffrolle (+ Vibrationseinsatz) die entsprechende Muskulatur  behandeln.

Achtung: Die Bewegung in Richtung Körper Mittelpunkt durchführen um die Venen-Klappen nicht zu schädigen.

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